Gedanken

über Spielen und Komponieren

Von meinen frühsten musikalischen Begegnungen an hat es mich fasziniert, Instrumentalklänge zu kombinieren und zu beobachten, wie sie aufeinander reagieren. Ich wollte immer schon herausfinden, wie eine Einzelstimme in einem polyphonen Musikstück ihre eigene Kontur und Identität bewahren kann, doch gleichzeitig eine neue Dimension annehmen im Verhältnis zu den anderen gleichzeitig erklingenden Stimmen. Für den Komponisten wie auch für den Instrumentalisten bedeutet es, dass er die musikalischen Linien als miteinander verwoben erlebt, nicht als nebeneinander verlaufend. Vielleicht ist es ein Teil dessen, was Celibidache mit seinem Begriff „Reduzieren" meinte: nach einer vollkommenen Integration verschiedener musikalischer Linien zu streben, um eine einzige vereinheitlichte musikalische „Kraft" zu erzielen.

Aufgewachsen in einer Familie, in der praktisches Musizieren zur musikalischen Erfahrung gehörte, und auch später im Rahmen meiner Tätigkeit als Instrumentalist habe ich eine Vorliebe für die Kammermusik. Bei einer Aufführung in einer kleineren Gruppe von Spielern besteht eine subtilere, lebhaftere, unmittelbarere Kommunikation. Vom Standpunkt des Komponisten muss die musikalische „Form", unerlässlich für die Vermittlung des „emotionalen" oder „ausdrucksmäßigen“ Inhalts, hier durchsichtiger und klarer dargelegt werden, da nicht großer Orchesterklang die Struktur definiert. Im Kammerensemble können agogische Veränderungen und Einzelheiten der Phrasierung weit differenzierter ausgeführt werden. Meine Musik versucht, die Vorstellungskraft und den musikalischen Einfallsreichtum der Ausführenden anzusprechen, damit sie lebendig wird, - bei der Aufführung entscheidend dafür, dass sich ein Stück ausdrucksstark und wirkungsvoll mitteilt.

Mich hat auch die Herausforderung gereizt, für ein Soloinstrument zu schreiben, eher ein Melodie-Instrument als ein Tasteninstrument. Wenn die herkömmlichen Zusammenhänge von Harmonie und Kontrapunkt entfallen, erweitern sich die kompositorischen Möglichkeiten, daraus kann Musik entstehen, die für den Spieler technisch umso anspruchsvoller ist. In letzter Zeit erwachte in mir erneut der Wunsch nach Auseinandersetzung mit dem Solo-Cello, dies brachte mich dazu, für die Besetzung Cello und Sprechstimme zu schreiben. Während jedes Element, Dichtung und musikalische Komposition, für sich aufgenommen werden kann, ergibt sich, wenn sie zusammen erklingen, ein „Dialog" oder eine „chemische Bindung", so dass jedes auf dem anderen beruht und es verstärkt.

Celibidaches Eintreten für die gleichzeitige Wahrnehmung vertikaler und horizontaler Zusammenhänge ist wesentlich sowohl für den Spieler als auch für den Komponisten. Genau wie der Spieler sich seiner ständig wechselnden Funktion im musikalischen Ganzen bewusst sein muss, was ein umfassendes Wissen über Aspekte der Form, Tonalität (statisch oder in Modulation), Phrasierung, Klangfarbe und Balance verlangt, so soll auch der Komponist bei seiner Arbeit gleichzeitig den Einfluss auf viele verschiedene Parameter überblicken. Der Komponist muss außerdem verschiedene Zeit-Einheiten handhaben. Während „Inspiration“, die Erfindung musikalischen Materials, in einem Augenblick erscheinen mag, in einem flüchtigen, unvorhersehbaren luziden Moment, verlangt die „Konstruktion“, das logische Entwickeln und Ausarbeiten dieses Materials, Konzentration über eine erheblich längere Zeitspanne.

Beim Schreiben versuche ich, die spezifischen charakteristischen Eigenschaften von Instrumenten und sogar, wenn möglich, der zukünftigen Ausführenden im Auge zu behalten. Man stellt sich im inneren Ohr beständig vor, wie Intervalle und Figurationen in verschiedenem Kontext andersartig Klang und Energie vermitteln und welche am besten den Ausdrucksmöglichkeiten eines bestimmten Instrumentes entsprechen. Wenn man diese innere Stimme eines Instruments erfassen kann, kann auch dies zur gesteigerten Spontaneität und Wirkung eines Musikstücks beitragen. Musikologen haben ein Vergnügen an „instrumentaler Virtuosität" als wiederkehrenden Zug britischer Musik seit dem elisabethanischen Zeitalter im 16. Jahrhundert festgestellt, ebenso eine gewisse Vorliebe für die Formen und Strukturen europäischer Musiktradition, wenn auch betrachtet mit etwas Abstand und mit leicht „satirischem“ Blick. Ich finde mich hingezogen zu diesen Charakteristika, - möglicherweise Teil der „englischen" Züge in meiner Arbeit, erstaunlich vielleicht für jemanden, der so lange Zeit so entfernt von seinem Heimatland lebte und arbeitete.

Die Keimzellen der musikalischen Auseinandersetzung sollten idealerweise gedeihen und wachsen, wie eine Zelle oder ein winziger Organismus in der Natur Wandel und Entwicklung durchläuft. Man erhofft eine natürliche Entfaltung des musikalischen „Gesprächs“ innerhalb eines Stückes. Das Ziel jedes Werkes ist, dass es in der Aufführung ein eigenständiges Leben und eine eigene Identität annimmt und sich fortbewegt in Zeit und Raum wie durch seine eigene Dynamik und Energie. Wenn dies geschieht, gelingen kostbare und erhebende Augenblicke, - letztlich der Grund, Zeit und Geduld für das Schaffen neuer Werke aufzuwenden.

Graham Waterhouse, 2009